Vegan auf der Grünen Woche – Es ist kompliziert…

Wie vegan ist eigentlich die Grüne Woche? Die größte Messe im Bereich Land- und Ernährungswirtschaft habe ich vor über acht Jahren als Fleischesserin besucht, trotzdem sind mir schon damals die vielen Wurststände aufgefallen, die sich wie ein roter Faden durch alle Hallen zogen. Nach so langer Zeit und vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Jahre im Bereich vegan und bio wurde es Zeit für einen erneuten Besuch.

Zusammen mit dem BZ-Autor Reinhard Mohr habe ich einen Rundgang über die Messe gemacht. Der Artikel lässt sich heute auch in der BZ am Sonntag oder online nachlesen. Für mich ist es ein zweischneidiges Schwert die Messe überhaupt zu besuchen. Die „Große Tierhalle“ war mir noch vom ersten Besuch unangenehm in Erinnerung geblieben, heute kann ich so etwas kaum noch ertragen. Sie liegt sehr zentral, jeder muss da durch. Menschenmassen, laute Musik und mittendrin die Tiere. Sie liegen alle auf frischem Einstreu, sind sauber und süß, weil viele Tierbabys dabei sind. Schöne Bauernhofidylle. Die Realität sieht anders aus, erkennt sogar mein fleischessender Begleiter.

Einige Meter weiter wird eine vollautomatische Fütterungsanlage für Kühe vorgeführt. In der Nähe lehnt ein Schweinebauer an einer viereckigen Konstruktion – hat etwas von Schaufenster – das einen „modernen“ Schweinestall zeigt. Links Spaltenboden aus Beton, rechts Spaltenboden aus Plastik. Die sechs oder sieben Schweine liegen fast alle zusammengekuschelt wie Hundewelpen auf dem Beton und schlafen, „Erwärmt sich wohl besser, den Beton mögen die lieber.“, sagt der Bauer. Ich frage ihn, ob das Gezeigte dem realen Platz entspricht, den Schweine in der Mast haben. Er verneint. Eines der Schweine kommt auf mich zu, schaut mich aus neugierigen Augen an und knabbert an meiner Hand. Schweine sind sehr sozial und erwiesenermaßen so intelligent wie dreijährige Kinder. Ich frage, wie alt die Tiere sind. „71 Tage“. Und wie ihr Leben nun noch aussehen wird. „Die kommen jetzt in die Mast und werden in drei Monaten geschlachtet.“ Dann werden sie noch keine 6 Monate alt sein. Mir wird übel. Schon in der nächsten Halle lässt sich das Ergebnis so einer Mast betrachten: Spanferkel. Ein ganzer Stand davon. Sie liegen alle drapiert in der Auslage. In einen Schweinekopf hat jemand ein Brötchen gesteckt. Die Standbesucher, die fleißig Spanferkel ordern, scheinen sich an dem Kopf mit dem Brötchen nicht zu stören. Es ist surreal.

Eine Tüte Wurst für 5 Euro

Und viel besser wird es in den meisten Hallen leider nicht, aber es gab auch Ausnahmen, siehe weiter unten bei „Lichtblicke“. Würde man die Belegung der Messestände als Indikator dafür anlegen, welche Produkte die wichtigsten, gewinnbringendsten sind in diesen sieben Messetagen: Salami, Mett und Schinken scheinen eine Goldgrube zu sein. Das meiste sehr billig, zum Schnäppchenpreis: Eine Tüte Wurst, 5 Euro. Wer verdient da was?

Lichtblicke – Veganes auf der Grünen Woche

Aber es gibt auch Lichtblicke auf der Grünen Woche. Das sind vor allem die jungen Firmen. Man erkennt sie beim Durchqueren der Hallen relativ schnell am „Berlin-Mitte-Design“ – dicke weiße Buchstaben auf schwarzem Grund zum Beispiel, wie bei der   „Ice Guerilla“ aus Beeskow in Brandenburg.

Veganes Eis von der Ice Guerilla

Das Geschäftsprinzip funktioniert ähnlich wie beim seit langem erfolgreichen Unternehmen My Müsli: Die Kunden stellen sich auf der Webseite ihr Lieblingseis zusammen, geben dem Mix einen eigenen Namen und die Ice Guerilla schickt es von Brandenburg aus in die Welt. Mit Hilfe eines Farbsystems erkennt man beim Bestellen leicht, ob die ausgewählte Zutaten vegan ist. Für Allergiker gibt es z. B. in Bezug auf Gluten ebenfalls einen Farbcode. Bei den Grundsorten sind alle Fruchtsorbets vegan. Ich habe auf der Messe Zitrone-Minze probiert. Perfekte Konsistenz, sehr frisch, sehr lecker!

Nächstes Ziel ist die „Streetfood-Halle“, deren Name sich mir allerdings auch auf den zweiten Blick nicht erschließt. Hier stehen – Überraschung – die selben Wurststände wie in den übrigen Hallen. Aber ich finde trotzdem noch einen sehr guten Pulled Jackfruit Burger bei „RockandRoll Food„. Halleluja!

pulled jackfruit burger

In der Halle des Bundeslandes Sachsen-Anhalt entdecke ich Kirstin Knufmann mit ihren Pure Raw Produkten. Da sie ihre Produkte in Klötze selbst entwickelt und ihr Partner, Jörg Ullmann, gleich nebendran die größe Algenfarm Europas betreibt, finden sich bei Kirstin immer spannende neue Produkte aus Algen und anderen natürlichen Rohstoffen in Rohkostqualität. Bei diesem Besuch zeigt Kirstin mir die Neuheit „Magic Blue“, einen in Klötze entwickelten, schlumpfblauen Farbstoff aus Spirulina. Auch sehr interessant ist BOBEI, ein Pulver aus goldenen Chlorellaalgen, das beim Backen Butter und Ei ersetzt und mit dem ich auch schon experimentiert habe. Sehr empfehlenswert!

Kirstin Knufmann und Nicole Just

Magic Blue von Pure Raw

Gleich daneben: Leha Schlagfix. Die vegane Sahne auf Pflanzenfettbasis ist schon seit langem in vielen großen Supermärkten erhältlich. Man vermutet einen Großkonzern und trifft ein junges, sympathisches Familienunternehmen. Was bei diesen beiden Anbietern auffällt: Man verbindet sich regional, so bietet Leha beispielsweise seit neuestem auch Lupinenkaffee aus einer Rösterei ganz in der Nähe an. Die Lupinen kommen ganz aus der Nähe.

Leha Schlagfix lupinenkaffee

Lebensmittelmesse ohne Gemüse?

Und wo ist eigentlich das ganze Gemüse? Ich kann tatsächlich nur wenige Aussteller in diese Richtung finden. In der Halle der Niederlande wird es dann aber doch in Form eines nachgestellten Gemüseackers thematisiert. Bezeichnend für das konventionelle Angebot in Deutschland. Wenig wird noch hier angebaut, was in den Supermärkten liegt kommt aus Holland, Spanien und Ägypten.

Und dann gibt es da ja noch die Biohalle. Die Bio Company glänzt schon von weitem mit dem größten Stand der Halle. Davor steht eine gut gelaunte Lea Green (Vegg.ies) und bereitet für die interessierten Messebesucher Rührtofu zu. Geht doch!

Und auch woanders findet sich dann doch noch Gemüse. Bei Christian Herb aus dem Allgäu ist der Name Programm: Er hat gleich ein ganzes Kräuterbeet mitgebracht, mit vielen alten Kräutersorten. Alle ökologisch erzeugt. Am 13. und 14. Mai 2017 verkauft er Jungpflanzen und mehr auf der Primavera in Berlin. Wer das nicht schafft, kann auch online bestellen.

Fazit: Die Grüne Woche hat für Veganer durchaus Lichtblicke, man muss sie aber suchen und sie sind rar. Vieles wirkt aus meiner Sicht aus der Zeit gefallen und ich muss direkt an Landwirtschaftsminister Schmidt denken, der das Schweinefleisch derzeit so drastisch verteidigt, als ginge es um sein Leben. Hier hat man das Gefühl, der Agrarminister hätte die Stände handsortiert. Innovationen finden sich extrem selten und wenn, dann eher nicht bei „Alteingesessenen“, sondern bei einer neuen, jungen Generation von Unternehmern, die vorrangig aus den neuen Bundesländern kommen und auch dort investieren. Es gibt viele hoffnungsvolle Ideen und junge Macher, die neue Wege gehen. Und glücklicherweise viele Veggie-Lebensmittelmessen, die sich den neuen Entwicklungen nicht verschließen und sich oft vor Besuchern nicht retten können. Die Grüne Woche jedenfalls war an diesem Eröffnungstag eher leer.

Foto ganz oben: (c) Olaf Selchow

 

 

 

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